Sonntag, 12. August 2018

Aussicht auf Ferne





Ich habe eine Weile überlegt wie ich meinen Text heute nenne, da fiel mir "Aussicht.." ein, spontan und es passt.

Die Aussicht auf Ferne, auf irgendwann...

Meine Sehnsucht wird von mal zu mal größer und ich freue mich, wenn unser Auto Schlaf-fertig wird, das ist wie ein Zeichen, wir können losfahren und den Alltag hinter uns lassen.
Wir arbeiten an dem Ausbau nun schon einige Wochen, gerade in der Hitzezeit ging es nur langsam voran, auch wenn die Scheune vergleichbar kühler ist als draußen, kommen wir beide leicht aus der Puste. Und mein Herz hat mir in den letzten Wochen extrem zu schaffen gemacht, es will nicht mehr so wie früher...

Wir haben Zeit bis September und dann wollen wir losfahren, vielleicht Richtung Niederlande, mal schauen.
Wir haben dann 5 Tage für uns, denn dann ist Shaya auf Klassenfahrt.

Wir schauen uns fast täglich Wohnmobile im Internet an, Kastenwagen mit festen Betteinbau, das ist mir wichtig. Ich mag nicht jedesmal die Sitzgelegenheit zum Bett umbauen, da muss schon die Möglichkeit da sein, das man sich hinlegen kann, wann immer man mag.

Wir sagen uns immer wieder: in 8 Jahren ist es dann so weit.
So langsam klingt es wie ein Mantra.

Ich bin sehr überrascht, dass ich nicht alleine träume, sondern Britta neben mir habe. Sie hat sich so sehr verändert in den letzten Jahren, sie ist selbstsicherer geworden und viel Mutiger als früher. Sie traut sich zu sich selbst zu stehen, Träume auszuleben, Wege zu gehen, die unbekannt sind.
Ich habs ja nicht so mit Stolz, aber ich kann sagen, meine Frau ist wundervoll so wie sie ist. Ich habe sie vorher schon wundervoll gefunden aber was sie in den letzten 20 Jahren geschafft hat, ist unglaublich. Sie hat sich  von einem eher konservativen Menschen zu einem offenen Freigeist entwickelt. Früher sind wir unterschiedliche Wege gelaufen, aber wir haben uns immer wieder getroffen, ich habe auf sie gewartet. Mittlerweile laufen wir Hand in Hand und oft hat sie die Idee die wir dann gemeinsam umsetzen. Früher hatte nur ich Ideen und sie war unsicher ob meine Ideen mit ihrem Leben zusammen passen.

Wir träumen mittlerweile gemeinsam von einem minimalistischen Leben in einem 1 Zimmer Auto Apartment. Die Welt ist so groß und wir so klein und doch wollen wir einen Teil davon bereisen.
Wir haben beide zu wenig Erfahrung um zu wissen, ob das Reisen uns ausfüllen wird. Aber ich glaube darum geht es auch gar nicht, es ist nicht die Neugierde andere Kulturen kennen zu lernen, es ist das Gefühl frei von materiellen und imateriellen Belastungen zu sein.

Wir müssen uns dann nur noch um das Auto kümmern und nicht um Haus, Hof und Garten.

Wir fangen jetzt schon an auszusortieren, uns zu verkleinern und es fällt mir sehr schwer Dinge loszulassen, die mir im Laufe meines Leben wichtig waren. Ich fange mit Büchern an. Britta will nur Stoner McTavich behalten. Teile dieser Reihe wurden nicht mehr neu aufgelegt und sie liebt die Bücher. Ich weiß nicht ob ich überhaupt irgendein Buch behalten werde, da meine Sehkraft immer weiter abnimmt. Eines Tages werde ich keine Bücher mehr lesen können.

Woran ich noch hänge und was ich seit Jahre ignoriere, ist diese alte Porzellan Katze.
Ich glaube ich war selbst noch ein Kind, als ich sie meiner Oma schenkte. Nach ihrem Tod ist es das einzige was von ihr übrig blieb.
Britta hofft schon seit Jahren, das die Katze zerbricht, das irgendwer drüber stolpert.
Sie steht oben im Gästezimmer auf dem Boden, in irgendeiner Ecke des kleinen Zimmers. Und dort stört sie nicht und dort kann ich sie ignorieren, wissend, das es sie noch gibt.

Es sind die Kleinigkeiten die viel zu viel sind, dort 15 Kerzenständer, da Zeug was noch nicht mal einen Namen hat - ach doch, ein Briefbeschwerer, er funkelt im Licht.

---

Ah jetzt läuten die Kirchenglocken. Britta wird gleich in der Kirche mit ihrer Gruppe Gitarre spielen, während ich auf dem Bett sitze und dem Läuten Beachtung schenke. Es ist so ein Sonntag, den man ganz schnell wieder vergisst, im Hintergrund kräht ein Hahn, es ist sonst sehr leise hier.

Shaya schläft noch... als Britta gestern fragte ob Shaya mit in die Kirche kommen will, riss unsere Tochter die Augen auf und verzog das Gesicht. Wir mussten beide so lachen.
Shaya sagte daraufhin: "Nein danke, das hat gereicht das ich mit meinen Cousins in die Kirche musste, da hab ich immer noch eine schlechte Erinnerung dran"

Shaya wird ihr eigenes Leben gehen, wenn wir uns auf die große Reise begeben.

Gerade jetzt habe ich Angst davor sie zu verlassen. Aber sie geht bereits Schritt für Schritt ihren Weg.
Sie ist so unglaublich selbstständig. Gestern hat sie  Auberginen gebraten und danach Pudding selbst gekocht.
Ich liebe das an ihr, dieses: "Ich würde es gerne mal ausprobieren Mami" und sie tut es, sie probiert es aus.
Wenn sie eines Tages in ihre Wohnung einzieht, kann sie kochen und Wäsche waschen und sie wird sich ihre Meinung bilden, statt eine Meinung unreflektiert anzunehmen.

Ich sehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf diese Aussicht auf Ferne.. Eines Tages.

Mein Kind wird groß, sie wächst über sich hinaus mit ihren 10 Jahren.
Manchmal wirkt sie viel älter als ich es bin. Manchmal frage ich mich, ob sie je ein Kind war.

Sie hat viel zu früh angefangen die Welt zu hinterfragen, sie schüttet sich voll mit Dokumentationen über Geschichte, Astronomie, über Kulturen und andere Länder. Tiere und Physik.

Sie liebt Naturwissenschaften und sie mag das neue Fach: Geologie.
Da ist sie gerade bei den Kontinenten.

Meine Tochter ist mir so ähnlich, manchmal glaube ich sie ist die kleine geliebte Verkörperung von mir. Genau so wäre ich auch gewesen, hätte ich liebende Eltern gehabt.

Es ist komisch, auf der einen Seite möchte ich die Momente die wir miteinander haben, einfrieren. Sie konservieren, auf das sie nie erwachsen wird, auf das ich sie immer im Arm halten kann und ihr Geborgenheit gebe. So wie gestern, sie wollte unbedingt einen Marvel Film sehen, Britta war eher dagegen und ich stand zwischen diesen Stühlen. Wir haben einen Kompromiss gefunden, ich hörte mit Kopfhörer sie sah in die Stille. - 15 Minuten um zu gucken, ob ihr die spannenden Szenen nicht zu gruselig sind. Nach den 15 Min. war schluss. Sie lag die ganze Zeit in meinen Armen, wie damals als sie noch klein war, und ich streichelte ihren Rücken. Es waren wieder einmal die wundervollsten und innigsten 15 Minuten zwischen meiner Tochter und mir.

Ich habe es genossen und sie auch. Wir haben ausgemacht, heute schauen wir diesen Film gemeinsam an. Er ist erst ab 12... wir wollen sie nicht überfordern.

- auf der anderen Seite freue ich mich über jeden Entwicklungsschritt. Ich hatte zum Beispiel gestern das Gefühl der Anfang der Pubertät ist gemacht, sie ist diesen Schritt gelaufen, mit Hormonschwankungen, Gemotze, Distanz. Und nun kommt sie wieder einen Schritt zurück, sie will wieder kuscheln und Nähe.

Ich denke das wird sich in den nächsten Jahren immer mal wieder abwechseln. Wir werden uns daran gewöhnen, das unser Kind eigene Wege geht...  vielleicht ist dazu dieses Gemotze und diese Distanz wichtig. Manchmal leide ich richtig darunter, dann sehe ich sie nur wenige Stunden am Tag, ansonsten ist sie in ihrem Zimmer und macht ihr Ding.

Gestern war sie Verhältnismäßig oft da um zu kuscheln, um mir von ihren Gedanken zu berichten.
Ich liebe es!!!

Ich liebe sie so sehr.

Und gerade jetzt ist mein Lieblingsgedicht von Khalil Gibran um so wichtiger.
Ich lasse sie jetzt schon Stück für Stück eigene Wege gehen und manchmal bricht es mir das Herz. Aber ich weiß wie wichtig es ist, ihr Freiheiten zu geben, auf das sie sich frei entfalten kann.
Eines Tages wird sie ihr eigenes Leben leben und deshalb ist dieses Auto so unglaublich wichtig, auf das wir dann nicht zurück bleiben, wenn sie geht.

Auf das wir etwas haben, das uns ausfüllt. Ich würde die Stille im Haus nicht ertragen, es würde mich nach Draußen in die Natur ziehen um dort meine Mutterwunden zu lecken.

Und Britta fühlt das, sie fühlt wir brauchen dann etwas für uns, nur für uns...

Somit ist die Aussicht auf Ferne etwas lebenswichtiges geworden. Es bringt uns als Paar wieder mehr zusammen. Schon jetzt während der Planung, während wir gemeinsam an dieser Kiste schrauben, die spätestens September unser Bett ersetzt.
Jede Idee bringt uns ein Stück näher zu uns selbst.

Und das merkwürdige ist - während ich das schreibe, laufen mir Tränen übers Gesicht....
Auch wenn ich es schön finde, tut es weh...






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen