Ich sitze hier und mir gehen ganz viele Erinnerungen durch den Kopf, ausgelöst durch eine kurze Whats app Nachricht, mit der ich wirklich nicht mehr gerechnet habe.
Es gab eine Zeit da war ich mit einem Mädchen befreundet, sehr innig, sie war wie eine große Tochter für mich und wir waren ihre Insel, ihr Zuhause, ihr Rückzugsort.
Sie war aussergewöhnlich anders, sie lebte ein Leben außerhalb der Norm.
Es fällt mir schwer die richtigen Worte zu finden, die sie beschreiben. Sie kam ganz ohne Geld aus, denn sie arbeitete hauptsächlich Ehrenamtlich oder lebte von Spenden. Zuletzt hatte sie noch nicht einmal eine eigene Wohnung. Lebte bei Freunden.
Ich habe vor ihr noch nie einen solchen Menschen kennen gelernt und nach ihr auch nicht. Als wir von Südhessen wegzogen, zog sie sich gänzlich zurück. Damals verstand ich ihr Verhalten nicht, ich dachte, wir können doch trotzdem ihre Insel sein, trotzdem Familie für sie bleiben.
Ich war sehr traurig, denn sie war für mich wie eine große Tochter, hätte ich sie adoptieren können, ich hätte es getan.
Sie kam aus einer "gutbürgerlichen" Familie, beide Eltern waren Lehrer. Ihr Bruder studierte Musik und sie war das schwarze Schaf.
Ich kannte ihre Mutter und wir mochten uns.
Heute bekam ich - nach zwei Jahren Pause - eine Nachricht von ihr.
Sie nennt mich Dscho, so erkannte ich wer mir die Nachricht geschickt hat.
Nur wenige Worte und doch:
So viel Sehnsucht in den Worten, so viel Liebe und so viel Leid.
Ich musste erst mal Weinen, weil mir nicht klar war, dass sie immer noch so fühlt. Nach zwei Jahren hatte ich mich verändert, ich hätte sie niemals vergessen, aber ich halte Gefühle nicht fest. Ich habe mich damit abgefunden keinen Kontakt mehr zu haben. Manchmal sprechen wir noch über sie, meist in Bezug wenn es darum geht, dass irgendwer behauptet es wäre nicht möglich ohne Geld zu leben.
Dann sehe ich diese mittlerweile junge Frau vor meinem inneren Auge. Der aussergewöhnlichste Mensch den ich kenne.
Als ich die Nachricht las brachen meine Gefühle für sie wieder auf und ich fühlte erstmal nur Schmerz, Trauer, ein Gefühl von Verlassenwerden und dann Liebe.
Ich habe nicht gewusst, dass ich sie noch liebte, nach all der Zeit.
Sie war kein Kuschelmensch und doch war sie die einzige die außer Britta, neben mir im Bett liegen konnte. Eines Tages tat sie es einfach, ich war krank, sie legte sich neben mich und erzählte wie ein Wasserfall. Eine Grenze kannte sie nicht, sie war Grenzenlos in ihrer Art, zu leben, zu lieben.
Sie lebte Vegan und ich dachte ihre Distanz liegt daran, dass ich nicht mehr Vegan lebe. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, warum sie sich distanziert hat. Ich hatte Erklärungen, doch die sind jetzt alle unwichtig.
Jetzt weiß ich, es liegt wirklich nur daran, dass sie nicht damit zurecht kam, dass wir so weit weg leben - für sie war es als seien wir ans andere Ende der Welt gezogen.
Am liebsten würde ich jetzt nach Frankfurt fahren und sie einfach einpacken, in Decken hüllen und mitnehmen...
Wir hätten das auch vor zwei Jahren getan, wir haben es ihr angeboten, aber sie hat abgelehnt. Sie wollte nicht weg aus Frankfurt.
Und wir konnten nicht bleiben.
Unsere Geschichte ist keine Geschichte einer normalen Freundschaft, oder einer normalen Liebe, oder einer normalen Trennung.
Eigentlich ist es eine Geschichte einer Familie, zwei Frauen mit einer älteren und einer jüngeren Tochter.
Ich habe es einmal erwähnt, dass sie für mich wie eine Tochter ist. Sie hat gelacht, "darüber mache sie sich keine Gedanken, sie liebt uns einfach". Über Adoption haben wir nie gesprochen, es hätte auch keinen Sinn gemacht, ihre Eltern waren wohlhabend, wenn sie sterben erbt sie wenigstens soviel um den Rest ihres Lebens ausgesorgt zu sein.
Aber auch darüber macht sie sich Null Gedanken, Geld war ihr egal, Konventionen waren ihr egal. Sie war ein kleiner Punk mit zerrissenen Klamotten und langen blonden Haaren.
So einfach lebte sie ihre Gefühle aus und so einfach trauerte sie.
Wie nun unsere Geschichte weiter geht - ich weiß es nicht, ich glaube nicht, dass sie sich in ein geliehenes Auto setzt um zu uns zu fahren.
Ich habe ihr geschrieben, ganz viel durcheinander über das was wir vorhaben, wo wir gerade stehen und das wir auf sie warten.
Sie hat jetzt noch 8 Jahre Zeit. Solange werden wir hier in Deutschland bleiben.
8 Jahre um zu uns zu kommen und vielleicht alles zu verändern.
Ich habe gemerkt meine Tür war nie zu, sie war nur angelehnt.
--- etwas später
Sie kommt! Meine große Tochter kommt nach hause. Wir haben geschrieben, geweint, geschrieben.
Sie kommt am 22 August.
Es ist verrückt, ich habe auch ein wenig Angst, keine Bedenken, nur ein wenig Angst vor dieser Begegnung. Werden wir uns noch genauso lieb haben wie früher, oder ist dieser Kontakt nur ein Echo basierend aus einer Erinnerung.
Auf jeden Fall geht es mir gut mit der Entscheidung das sie nach hause kommt und ja so empfinde ich es auch: Nach Hause.
Ich freue mich sehr, ich weine immer noch... es ist gerade sehr viel Gefühl, sehr viel Emotionen auf allen Seiten. Sie kommt nicht alleine, sie bringt ihre Hunde mit, das kann gewaltig in die Hose gehen, oder gut gehen, keine Ahnung wir werden sehen.
Verrückt noch vor kurzem hatte ich diese Sehnsucht in mir nach einem Kind. Ich habe es so tief empfunden und ich habe mit Britta darüber gesprochen. Ich war bereit für eine ältere Tochter. An Sie wollte ich nicht denken, konnte ich auch nicht denken.
Das meine Gedanken flügel haben konnte ich nicht wissen, wie auch.
Sie ist nicht auf Facebook und konnte mein Gesuch nicht lesen. Es war wie ein Wink vom Schicksal.
Und nun ist sie wieder da in meinem Leben.
Typisch von Null auf 100...
So ist sie und so sind wir...
Ich werde berichten, wie das anfing und weiter geht mit unserer WG.
Jetzt muss sie erst mal kommen und dann sehen wir weiter.
Das wichtigste ist, wir sind alle bereit für diesen Schritt... und alles andere
Später.
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