Dienstag, 17. Juli 2018

Ungewissheit




"Mich inspiriert Ungewissheit".

Den Satz habe ich gerade gehört und da wurde mir schlagartig klar - Mich auch, total.
Es gibt nichts spannenderes als nichts zu wissen und es nach und nach selbst zu erfahren. Auch wenn es wehtut. Auch wenn es schön ist.

Ich konnte noch nie so recht verstehen, warum Menschen ihre Träume nicht ausleben. Wenn ich wirklich einen Traum habe, wenn ich etwas wirklich will, dann erlebe ich es auch.
So war das schon immer. Deshalb hab ich meine Bücher geschrieben, oder angefangen zu malen. Oder bin in ein Gartenhaus gezogen - ein echtes Tinyhaus mit 8 qm Wohnfläche. Deshalb lebe ich hier in der Nähe vom Meer. Mich fasziniert das andersartige, das Aussergewöhnliche, die Klippe in der Dunkelheit, Sumpf, Moor, Seen, Meere, Bäche, Wasserfälle. Alles was nicht einsehbar ist, das Geheimnisvolle, das Rätselhafte, das Universum.

Ich glaube das liegt an meiner Kindheit. Ich habe die meiste Zeit mit Träumen verbracht und als Kind habe ich mir geschworen, wenn ich die Scheiße überlebe kann ich alles überleben.

Als ich das erste mal mit meiner Schwester abgehauen bin, hatten wir nur Tüten dabei. In zwei der Tüten waren besondere Sachen, unser Spielzeug, Teddys. Ein paar Bücher, einen Tannenzapfen, ein stück Holz.
Unsere Geheimnisse, unsere Wünsche.
Als wir während es regnete eine lange Landstraße entlang liefen, ohne zu wissen wohin sie führt, wollte meine Schwester wieder umkehren. Sie hatte Hunger und war Müde, sie hatte Angst, sie weinte und flehte mich an zurück zu gehen. Aber ich wollte auf keinen Fall zurück. Ich sagte damals sehr hart zu ihr: "Dreh um und geh zurück, ich gehe weiter, mit dir oder ohne dich".
Und dann ging ich weiter.
Und meine Schwester lief mir weinend, resignierend hinterher.

Und während ich so ging, fühlte ich diese unendliche Ruhe in mir. Jeder Schritt ein Schritt in eine Unsicherheit, ins Ungewisse. Aber ich fühlte mich so wohl wie noch nie zuvor. Ich hatte mit jedem Schritt den ich ging, das Gefühl immer stärker zu werden, immer klarer.
Und irgendwann war ich fast beschwingt, während meine Schwester vor sich hinweinte , fing ich an mitten im Regen einen Schritt nach dem anderen zu hüpfen. Ich fühlte mich unendlich frei.

Ich war auch totmüde, ich war hungrig. Wir liefen Stundenlang, um  punkt Mitternacht sind wir abgehauen und so allmählich kam die Sonne hervor. Endlich nahmen uns Autos mit. Das Gefühl blieb. Es blieb auch dann Teil meiner Erinnerung als wir gefasst wurden.

Ich habe dieses Gefühl nie verloren. Ich habe es mir immer wieder geholt. In Situationen als die Welt um mich herum versank in Angst und Schrecken. Als ich hungerte. Als ich drogen nahm. Als Freunde von mir starben. Als ich alleine war.
Während meiner ersten Ehe, während der Trennung. Als ich mich von meiner ersten Freundin trennte und als ich meine Frau kennen lernte und feststellte sie lebt all das was ich nicht bin und ich bin all das was sie nicht kannte.

In all den Jahren war dieses Gefühl in mir - während ich diese verregnete Landstraße entlang lief in eine absolute Ungewissheit. Vollkommen alleine mit meiner Schwester, ohne zu wissen wohin.

Ungewissheit ist mein persönlicher Anker. Ich weiß irgendwas wird kommen und es wird mir neue Erkenntnisse bringen, mich neu formatieren. Ich werde daraus lernen und erfahren und es wird mich tragen.

Vielleicht war ich deshalb nie beständig. Ich hatte nie eine festen Stil, ich häutete mich in bunt oder grau und wieder zurück. Ich war wie ein Chamäleon ich musste alles ausprobieren,  alles hinterfragen,.
Mittlerweile bin ich ruhiger und gesättelter, was sicher an meinem Alter und meiner lädierten Körperlichkeit liegt.
Aber mein Geist ist immer noch auf dem Weg durch den Regen.

Mittlerweile weiß ich, ich werde nie irgendwo ankommen, wo ich für immer bleiben will. Die Welt ist groß und der Weg ist lang.

Eines Tages wird mein Körper sich verabschieden. Vielleicht sitzen wir dann Nachts gemeinsam an einem Fluß, Hand in Hand und ich schlafe an der Schulter meiner Frau für immer ein.

Das ist ein schöner Gedanke.
Auch was danach passieren könnte. Sie legt mich unter einem Busch ab und deckt mich mit Blättern und wildwachsenden Blüten und Vogelfedern zu und dann setzt sie sich ins Auto und fährt der aufgehenden Sonne entgegen.

In meinen Träumen spielt dann Klaviermusik auf, die Kamera zieht weg, so das unser Auto immer kleiner wird, eine endlos lange Straße wird sichtbar und dann wird "fini" eingeblendet. Fertig - das Leben von Jo ist beendet.

Ich träume nie davon das ich meine Frau auf diese Art verabschiede. Das werde ich nicht, nicht so...
das weiß ich.

Für den Fall heb ich mir eine andere Filmsequenz auf.

Für den Fall gibt es keine Ungewissheit... ich weiß was ich dann tue.

Euch einen schönen Abend noch und ich hoffe es wird bald regnen...


Herzlichst die Jo

PS: als ich meiner Frau meinen Text vorlas, schimpfte sie wie ein Rohrspatz und meinte: "Na super, du kannst mich mal!" :D Ich liebe diesen wundervollen Menschen! 

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